Geknickter Bundesrat, liquidierte IT-Firmen

Zahlreiche bereits umgesetzte Massnahmen sollen die Seco-Abteilung in Zukunft vor Korruption schützen.

Zahlreiche bereits umgesetzte Massnahmen sollen die Seco-Abteilung in Zukunft vor Korruption schützen.

Die Enthüllungen erschütterten das Seco in den Grundfesten.

Allerdings blieb den Involvierten viel Zeit, um Spuren zu verwischen.

Bei einer Verurteilung drohen lange Gefängnisstrafen.

Text von Christian Brönnimann und
Illustrationen von Christoph Fischer.

Die Enthüllung der Seco-Affäre ruinierte die beiden IT-Firmen und erschütterte das Seco und das Wirtschaftsdepartement Anfang 2014 in ihren Grundfesten. Die schon seit langem herumgereichten, aber nie bestätigten Gerüchte rund um Paul A. wurden plötzlich zur Realität. Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann ordnete eine Administrativuntersuchung an. Und sein Departement reichte bei der Bundesanwaltschaft Strafanzeige ein – allerdings nicht, als es von den Vorwürfen erfuhr, sondern erst nach Publikation des ersten Zeitungsartikels zur Korruption in «Bund» und «Tages-Anzeiger». Das ärgerte die Bundesanwaltschaft, weil so den Involvierten viel Zeit blieb, belastendes Material verschwinden zu lassen.

Seco-Ressortleiter Paul A. kam als Erster in Untersuchungshaft, später folgten Simon B., Fabrice C. und Werner D. Juristisch erledigt ist die Sache erst für letzteren, mit dem Strafbefehl vom Frühling 2019. Es ist zu erwarten, dass sich die anderen schon bald vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona verantworten müssen. Wann genau die Bundesanwaltschaft Anklage einreichen wird, ist noch unklar.

Sofort die Konsequenzen ziehen musste der direkte Vorgesetzte von Paul A., Dominique Babey. Er leitete den Bereich Arbeitsmarkt und Arbeitslosenversicherung im Seco zuvor während mehr als 15 Jahren. Babey stand Anfang 2014 – gleich wie Paul A. selbst – kurz vor seiner Pensionierung. Gesundheitlich angeschlagen, liess er sich von seinen Ämtern entbinden, blieb aber noch einige Monate für «Spezialaufgaben» angestellt.

Weitere Köpfe sind nicht gerollt. Der langjährige Vorgesetzte von Babey äusserte sich nur einmal zu den Vorkommnissen und wies dabei jegliche Schuld von sich. Serge Gaillard, heute Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung, liess sich im «SonntagsBlick» mit folgenden Worten zitieren: «Ich bin schockiert. Hätten wir damals von den Verdachtsmomenten gehört, dann hätten wir gehandelt.» Aus heutiger Sicht ist allerdings davon auszugehen, dass auch Gaillard über die Gerüchte rund um Paul A. im Bild war. Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann selbst übernahm Mitverantwortung, wohl um den Druck auf seine Kader etwas zu mindern.

Bundesrat Johann Schneider-Ammann zur Mitverantwortung beim Seco-Skandal. (Video: Keystone)

Die beiden IT-Firmen haben die Affäre nicht überlebt. Sowohl die Fritz & Macziol (Schweiz) AG als auch die System Connect AG stehen in Liquidation. Zu ihren besten Zeiten 2012 hatte die F & M noch über 60 Mitarbeiter gezählt. Das Mutterhaus der F & M, der holländische Milliardenkonzern Imtech, musste Versäumnisse im internen Controlling eingestehen.

«Ich ging leider davon aus, dass ein solcher Fall in der Schweiz nicht möglich sei», sagte der damalige Imtech-Chef Gerard van de Aast. Der Konzern hatte schon früher mit noch viel grösseren Korruptionsfällen in Deutschland und Polen zu kämpfen und ging 2015 ebenfalls in Konkurs.

Der Zürcher Rechtsprofessor Urs Saxer leitete die Administrativuntersuchung und präsentierte die Ergebnisse im August 2014. Sie bestätigte die Missstände vollumfänglich.

Aufträge gegen Geschenke: Die Seco-Affäre in der «Tagesschau» vom 21. August 2014. (Video: SRF)

Zwei Faktoren begünstigten die jahrelange Korruption und die systematischen Verstösse gegen das Beschaffungsrecht: erstens das Wegschauen der Vorgesetzten und zweitens die komplexen Strukturen in der betroffenen Seco-Abteilung. Beide Faktoren sind typisch für Fälle von Wirtschaftskriminalität.

Der Untersuchungsbeauftragte Urs Saxer bestätigt die Vorwürfe der Bestechung. (Video: Keystone)

Saxer schlug über 20 Massnahmen vor, um künftig Korruption in der Seco-Abteilung vorzubeugen. Die meisten davon sind inzwischen umgesetzt. Heute sei die Führung straffer, die Zuständigkeiten und Abläufe seien klarer, und die Kontrolle funktioniere, beteuert das Seco. Beschaffungen würden nur noch via Bundesamt für Bauten und Logistik abgewickelt.

Die Korruptionsaffäre hat in der Seco-Abteilung auch zum Scheitern eines grossen IT-Projekts beigetragen. Beim im August 2015 gestoppten 26-Millionen-Projekt ging es um die Neuprogrammierung des Auszahlungssystems für die Arbeitslosenkassen. Die unüberwindbaren Probleme im Projekt seien auch auf die Korruptionsaffäre «und deren personelle Konsequenzen» zurückführen, konstatierte die Eidgenössische Finanzkontrolle in einem Prüfbericht. So besass etwa der eingesetzte Projektleiter kaum Erfahrung mit der Abwicklung von grossen IT-Projekten.

Auch in den Kantonen Zürich und Zug zog die Aufdeckung der Seco-Affäre Untersuchungen nach sich. Denn Fabrice C. und Simon B. hatten auch hier Beamte, von denen sie Aufträge erhielten, zu Fussballspielen und anderen Anlässen eingeladen. Die Zürcher Finanzkontrolle ortete in der IT-Abteilung der kantonalen Justizdirektion ein «erhebliches Korruptionsrisiko», grosse Mängel im Controlling und Verstösse gegen das Beschaffungsrecht. Anfang 2016 wurde ein ehemaliger Abteilungsleiter zu einer Geldstrafe von 14’400 Franken verurteilt, weil er sich von einer weiteren IT-Firma wiederholt zu Weinreisen nach Italien hatte einladen lassen. In Zug konstatierte die Finanzkontrolle eine gewisse «Geschenk-/Einladungskultur».

Auf politischer Ebene wurden nach Bekanntwerden des Falls diverse Forderungen laut. So verlangte das Parlament etwa, dass die Verwaltung künftig sämtliche Beschaffungen ab einem Betrag von 50’000 Franken in Listenform publizieren muss, um die Transparenz zu erhöhen. Zudem verstärkte der Bundesrat generell die Kontrolle von grossen IT-Projekten und führte einen Pool von IT-Projektleitern ein, welche die Amtsstellen unterstützen sollen.

Nicht zuletzt zeigt der Fall wie kaum ein zweiter auf, wie wichtig das Öffentlichkeitsprinzip und dessen korrekte Umsetzung für kritischen und unabhängigen Journalismus sind. Lesen Sie dazu mehr im «Making-of: Die Recherche».


Impressum
Recherche und Text: Christian Brönnimann
Konzeption: Michael Marti, Sanerstudio, Christian Brönnimann und Dinja Plattner
Illustrationen: Christoph Fischer
Infografik und Explain-Video: Marina Bräm,
Angelo Colaninno
Art Direction: Sanerstudio.com
Programmierung: Arkham Enterprises
Videoproduktion: Silvana Giger
Produktion: Daniela Wyler
Projektleitung: Dinja Plattner

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