Grieg und Frieden

In der norwegischen Musikhauptstadt Bergen inspirieren alte Klassiker zeitgenössische Black-Metal-Künstler. Und von beidem profitiert der Tourismus.

Der erste Schritt auf der Suche nach der Dunkelheit führt uns ins Licht. Black Metal wollten wir, Regen haben wir erwartet hier in Bergen, 250 Tage Niederschlag im Jahr ist Europarekord. Doch die Sonne knallt, wir schwitzen in Jeans und Pulli. Wir stehen am Hafen, hinter uns die Fischerhäuschen des 700 Jahre alten Unesco-Weltkulturerbes, vor uns die dampfenden Schlote der Hurtigruten. «Das geht vorbei», sagt Kristian Espedal, richtet seine Lederjacke und meint die Sonne, denn der Qualm der Kreuzfahrtschiffe kommt in Bergen Tag für Tag wieder.

Ihn, Espedal, nennen sie hier alle nur Gaahl. Er ist eine echte Figur, gross, Hände wie ein Holzfäller, eine Stimme wie Tom Waits. In der Stadt ist er bekannt, für die Szene eine Ikone, seit er 18 ist macht er Metal-Musik, 43 ist er heute. Gaahl, so hiess es, könne uns von damals erzählen, von den Anfängen im Metal, dem Hass, der Gewalt, den Kirchenbränden. Doch statt über damals redet Gaahl lieber über früher. Über Edvard Grieg, Ole Bull, die norwegische Klassik, ihre Verbundenheit zur Natur. Über eine Zeit, die er und die ganze Szene nie erlebt haben. Und die sie doch zu prägen scheint.

Die Sonne strahlt in der Regenstadt, der bärtige Rocker schwärmt von Griegs Harmonik. Verkehrte Welt in Bergen?



Bergen, auch schon Kulturhauptstadt Europas, ist mehr als der von Fjorden umgebene Kreuzfahrthafen, für den die Stadt bekannt ist. Der Umgang mit den Massentouristen ist eine Mischung aus Geschäft und Kampf: Auf drei Schiffe und 8000 Gäste musste die Behörde vergangenes Jahr die Kreuzfahrt-Touristen beschränken. Sie will mehr längerfristige Besucher und das kulturelle Angebot besser vermarkten. Etwa die norwegische Mythologie, Komponisten wie Grieg − und Black-Metal-Musik.

Metal als touristisches Exportgut − in den 90er-Jahren hätte man davon nicht weiter weg sein können. Es sieht nach Provokationen einer Randerscheinung aus, als in Norwegen ein paar Bands die britische Heavy-Metal-Musik in eine dunklere, morbide Richtung lenken. Die Bands heissen «Immortal» oder «Darkthrone», sie fallen durch satanistisch anmutende Plattencover und eigenartige Darbietungen auf der Bühne auf. Doch in ihrer Verherrlichung nordischer Mythologie gehen einige der Musiker immer weiter. Ein Feindbild ist das Christentum, es brennen Kirchen, Empörung lodert durch die Boulevardmedien. Und die Nähe zu identitären, rechten Exponenten des Genres wie dem späteren Breivik-Bewunderer Varg Vikernes trägt wenig zur Entspannung der Lage bei. Die ganze Szene steht unter Beobachtung des Geheimdienstes, einige landen im Gefängnis, auch Espedal.

«Black Metal ist keine Subkultur mehr»

25 Jahre später scheint das alles weit weg. Espedal bietet den Kunden in seiner Kunstgalerie gerne ein Gläschen Rotwein an, die Wut von damals ist verglüht. Doch wie so oft auf Reisen bleibt das Klischee ein treuer Begleiter. Norwegen, das Land der Trolle, Fjorde, Fischer. Black Metal, ein Grüppchen mürrischer, bärtiger Männer.

Den Bart macht man im Gesicht von Ivar Peersen ziemlich schnell aus, bedeckt er doch mehr als das halbe Gesicht. Aber mürrisch? Peersen erzählt zuweilen so lebhaft, dass der Zitronentee vor ihm erzittert. Wir treffen ihn im Plattenladen «Apollon», seit den 70ern ein Hotspot der Musikszene in Bergen.

Ivar Peersen heisst auch Ivar Bjornson («bei der Steuerbehörde sorgt das manchmal für Verwirrung») und als solcher ist er mit seiner Band Enslaved eine Grösse in der Metal-Szene. «Black Metal ist keine Subkultur mehr», sagt er. Auch er ist Anfang 40, hat die ganze Entwicklung des Genres miterlebt und tritt heute mit seinen Musikern schon mal an den berühmten Festspielen von Bergen auf, ein Stelldichein von Grössen aus Klassik und World Music.

CCTV für Christus:
Die wiederaufgebaute Fantoft-Kirche bei Bergen.

CCTV für Christus:
Die wiederaufgebaute Fantoft-Kirche bei Bergen.

Metal ist in Norwegen zum Kulturgut geworden. Gaahl, das frühere enfant terrible, liess sich 2011 für ein Theaterstück über den Werdegang der Szene gewinnen, Peersen komponierte mit seiner Band kürzlich ein Stück zum 200. Geburtstag der norwegischen Verfassung. Auch der Tourismus mischt mit. In Oslo gibt es ein Black-Metal-Sightseeing mit Ausflügen zu Kirchenruinen und Studios. Und der Wachmann vor der Fantoft-Kirche bei Bergen weiss, dass viele der Besucher auch kommen, weil das brandgeschädigte Haus von einem dunkleren Kapitel der Geschichte der Metalmusik zeugt. Nur allzu gut kann man sich den schroffen Bau noch als rauchige Ruine vorstellen, gerade an einem Morgen, an dem noch der Nebel über dem dunklen Grün des umliegenden Waldes dampft.

Das Wetter wechselt schnell in Bergen. Eine Stunde nach dem düsteren Kirchenbesuch scheint die Sonne durch die grossen Fenster im Troldsalen, der Konzerthalle in Edvard Griegs Geburtshaus ausserhalb der Stadt. Jens Harald Bratlie schüttelt seine weissen Haare, er spielt die Schlussakkorde von Griegs einziger Klaviersonate, astrein und ohne Wackler, das Publikum ist begeistert. «Grieg ist simpel», sagt Bratlie, «aber Grieg ist grossartig.» Bratlie war Konzertpianist, dann Professor an der norwegischen Akademie für Musik. Er beschäftigt sich mit Klassik, seit er 17 ist. Heute ist er 70, in Rente und sagt: «Klar kommt Grieg in der Rockmusik an. Er war kein Salonmusiker, sondern viel draussen, seine Musik ist frisch und frech.»

Dass sich die Metal-Musik an Elementen der Klassik orientiert, ist nichts Neues. Auf Youtube spielen sich Metal-Gitarristen über Bach, Brahms und Mozart die Finger wund. Die Musikwissenschaft dokumentiert Parallelen, etwa von der überwältigenden Wucht von Wagners Orchesterwerken zu den Gitarren-Soli im Heavy Metal. Musiker Peersen erkennt in beiden Genres das Interesse am Übernatürlichen − in der Klassik mehr das Göttliche, beim Metal eher das Mystische, Heidnische. «Klassik und Metal bearbeiten alles, was nicht leicht ist», wie Peersen sagt.

Es ist ein Zustand, wie ihn auch Gaahl in seiner Kunstgalerie zu vermitteln wollen scheint. Weil an diesem Tag kein Verlass ist auf das nordische Wetter und am Hafen noch immer die Sonne scheint, sitzen wir jetzt drinnen, auf knarrenden Dielen, zwischen schwarz-dominierten Bildern. Es gibt Rotwein und etwas Ruhe, Musik läuft keine, «mir ist es schon so zu laut in der Welt», sagt er. Noch immer spricht Gaahl lieber von früher, als über damals zu erzählen. Er ist ein Kenner von klassischer Musik, für eine Kunstinstallation sang er kürzlich «Komm, süsser Tod» von Bach ein. «Edvard Grieg», sagt Gaahl nach der Bedenkzeit von zwei grossen Schlucken, «Edvard Grieg war für mich der erste echte Metal-Musiker.»


>>Das Bach-Cover von Gaahl




Die Reise wurde von «Innovation Norway» unterstützt. Der Autor nimmt mit vorliegender Multimedia-Reportage am Reporterwettbewerb «Talents2Norway» teil.

Grieg und Frieden

eine Webreportage von Moritz Marthaler
(Text, Bilder und Videos)

Grieg und Frieden

eine Webreportage von Moritz Marthaler
(Text, Bilder und Videos)

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