Stolz auf verschiedene Wege

Text: Peter M. Birrer und Thomas Schifferle

Taulant und Granit Xhaka an einem Termin im Fifa-Museum. Foto: Urs Jaudas

Taulant und Granit Xhaka an einem Termin im Fifa-Museum. Foto: Urs Jaudas

Schweiz gegen Albanien. Es ist Tatsache, was sich die Brüder als Letztes gewünscht haben.

Taulant und Granit an der Medienkonferenz im Fifa-Museum. Foto: Urs Jaudas

Taulant und Granit an der Medienkonferenz im Fifa-Museum. Foto: Urs Jaudas

Die zwei Brüder vor der Medienkonferenz. Foto: Urs Jaudas

Die zwei Brüder vor der Medienkonferenz. Foto: Urs Jaudas

Es ist Dezember. Granit Xhaka kann sich vieles vorstellen an diesem Tag, an dem es kalt und grau ist in Mönchengladbach. Ein Wechsel nach Madrid würde ihn reizen, weil Atlético an ihm Interesse zeigt. Einen Wechsel zu Bayern München wäre für ihn auch denkbar, weil er irgendwann den nächsten Schritt in seiner Karriere machen möchte, und weil Bayern jeden Fussballer reizt. «Wer sagt, dass das nicht der Fall ist, der lügt.»

Er kann sich vieles vorstellen, als es noch zehn Tage sind bis zur Auslosung der Gruppen für die Europameisterschaft 2016 in Frankreich. Nur eines nicht: mit der Schweiz auf Albanien zu treffen. Oder er will es lieber nicht. «Wenn das passiert, spiele ich nicht», sagt er. Ach, das sei doch nur so dahingeredet, findet Ottmar Hitzfeld, Granit müsse spielen. Der Druck in der Gruppe wäre viel zu gross, um kneifen zu können. Hitzfeld kennt Xhaka in- und auswendig. Er hat ihn vor fünf Jahren zum Nationalspieler gemacht.

Dann passiert es. David Trezeguet, Welt- und Europameister mit Frankreich, schafft es im Palais des Congrès von Paris, die Schweiz und Albanien in die gleiche Gruppe zu losen. «Ein Scheissgefühl», entfährt es Granit Xhaka.

Schweiz gegen Albanien ist Schweiz 1 gegen Schweiz 2. Oder Albanien 2 gegen Albanien 1. Das Spiel steht für die Verflechtung der Geschichte der beiden Länder, die mit der Flucht der Kosovaren Ende der 90er-Jahre beginnt. Für Fussballer, die in der Schweiz geboren sind und jetzt für Albanien spielen; und für Fussballer, die aus dem albanisch-stämmigen Teil des Balkans kommen und jetzt Schweizer Nationalspieler sind. Das Spiel steht für Granit und Taulant Xhaka, die Söhne von Ragip und Eli Xhaka. Am 11. Juni treffen sie in Lens aufeinander, Granit als Schweizer, Taulant als Albaner.

Erst einmal gegeneinander

Einmal haben sie bisher gegeneinander gespielt, als Taulant an GC ausgeliehen ist und Granit beim FCB nach oben drängt. Sie begegnen sich auf dem Platz nicht gross an diesem 10. März 2012, Taulant verteidigt rechts hinten, Granit setzt seine Eleganz im Mittelfeld ein, Basel gewinnt 2:0. Hinterher ist ihr Duell kein Thema, sondern das Spiel des FCB drei Tage später im Achtelfinal der Champions League in München. Granit äussert sich unerschrocken, weil es in seiner Welt keinen Grund gibt, Angst vor den Bayern zu haben. Basel verliert 0:7.

Jetzt ist Tatsache, was sich die Brüder «als Letztes gewünscht haben», wie Granit es auch ausdrückt. Schweiz gegen Albanien. Er weiss, wie es ist, gegen ein Land zu spielen, dem man verbunden ist. Er erlebt es in der Qualifikation zur WM 2014, als er mit der Schweiz auf Albanien trifft, zuerst in Luzern, dann in Tirana. Er wird wüst beschimpft wie Valon Behrami und Xherdan Shaqiri, aber nur wer Albanisch rede, könne nachvollziehen, wie wüst diese Beschimpfungen sind, sagt er. «Verräter» ist noch etwas vom Freundlicheren. Zum Ausdruck kommt darin ein Nationalismus, dem heute noch immer viele nachhängen, die vom Balkan stammen.

Taulant reagiert in dieser Frage weniger emotional, als es sein Bruder anfänglich tut. Taulant sagt: «Es ist ein Fussballspiel, das ich gewinnen will.» Im Mittelfeld wird er auf Granit treffen, wenn in Lens der Match um 15 Uhr losgeht. Er will ihn nicht «umfräsen», wie er das nennt, nicht umhauen, aber hart will er sein, schliesslich sei Fussball eine harte Sportart. Zumindest dann, wenn es um ihn und seinen Spielstil geht.

Die Brüder, der 25-jährige Taulant und der bald 24-jährige Granit, sitzen im Rahmen einer Veranstaltung von Borussia Mönchengladbach, dem bisherigen Verein von Granit, gemeinsam auf einer Bühne im Fifa-Museum neben dem Bahnhof Enge in Zürich. Monate hat es gedauert, bis die beiden zusammen auftreten, jetzt wird Granit gefragt, was er und Taulant für dieses Spiel vereinbart hätten. «Dass wir nach zwei Minuten Rot sehen …» Taulant grinst zufrieden.

David Trezeguet zieht die Schweiz in die Gruppe Albaniens. «Ein Scheissgefühl», entfährt es Granit Xhaka.

«Nach zwei Minuten sehen wir Rot …»: Taulant und Granit über das Bruderduell.

250'000 bis 300'000 Albaner leben mittlerweile in der Schweiz. Um die 60'000 sollen den Schweizer Pass haben, schätzt der Rat der Albaner in der Schweiz. Ragip und Eli Xhaka sind zwei von ihnen. Sie haben sich 1990 entschlossen, vor den Folgen eines Krieges zu fliehen, den Serbien in die autonome Provinz Kosovo und nach Pristina getragen hatte. Drei Jahre war Ragip im Gefängnis gesessen, ohne den Grund dafür genau zu kennen. Basel wird ihre neue Heimat, Ragip kann bei einer Gartenbaufirma arbeiten, Eli als Putzfrau. Am 28. März 1991 wird Taulant geboren, am 27. September 1992 Granit. Die Buben wachsen im Arbeiterviertel St. Johann auf und beginnen auf der Voltamatte dem Ball nachzurennen, bis Taulant 6 ist und Granit 5 und sie bei Concordia zu den Junioren kommen. «Seit ich bei Concordia anfing, wusste ich eines», sagt Taulant, «ich will Profi werden.»

Taulant sitzt in Durrës im Hotel am Meer, nicht für Ferien, sondern für die Arbeit. Er trainiert hier mit der Nationalmannschaft von Albanien für die EM. Das Licht, das am Abend den Platz beleuchten soll, ist fahl, die Tornetze sind zerrissen. Ein bisschen erinnert das an Verhältnisse wie bei einem Drittligisten. Die Fussballer mit dem Doppeladler auf der Brust treffen sich zum Training, Trainer Gianni De Biasi gibt sich als väterlicher Freund der Spieler. Besucher verscheucht er nicht, er lädt sie ein, Platz zu nehmen. Neben dem Feld redet ein Journalist des Bezahlsenders Digitalb in eine Kamera, und nach der Einheit macht er reihenweise Interviews. Nach grosser Fussballwelt riecht es nicht, aber die Ambiance ist wohltuend entspannt, es geht auch unkompliziert.

Nichts könnte besser zeigen, dass Taulant im Schatten seines Bruders eine beachtliche Karriere gemacht hat. «Ich bin stolz auf meinen Weg», sagt er, «nicht jeder macht ihn.» Als er in Basel nicht weiterkommt, lässt er sich ausleihen, zu den Grasshoppers, nach Zürich, und wie er von dieser Zeit erzählt, vom Dialekt, der so ganz anders ist als seiner, könnte man meinen, Zürich liege in einem anderen Land. «Was denken die wohl von mir?», fragt er sich. Niemand interessiert sich gross für ihn. Als er eines Tages an einer Medienkonferenz sagt, sein Ziel sei das Ausland, sorgt er für Verwunderung in der kleinen Journalistenrunde. Bis dahin hat er fussballerisch nichts bewiesen. Er ist nur der unscheinbare Bruder von Granit.

«Seit ich bei Concordia anfing, wusste ich eines», sagt Taulant, «ich will Profi werden.»

Der Trainingsplatz des albanischen Nationalteams in Durrës. Foto: Urs Jaudas

Der Trainingsplatz des albanischen Nationalteams in Durrës. Foto: Urs Jaudas

Nach grosser Fussballwelt riecht es nicht, aber die Ambiance ist entspannt, unkompliziert.

Ein Journalist des Bezahlsenders Digitalb berichtet vom Training. Foto: Urs Jaudas

Ein Journalist des Bezahlsenders Digitalb berichtet vom Training. Foto: Urs Jaudas

Armand Duka, der Präsident des albanischen Verbands, begrüsst Taulant. Foto: Urs Jaudas

Armand Duka, der Präsident des albanischen Verbands, begrüsst Taulant. Foto: Urs Jaudas

Taulant ist kein Hochbegabter wie Granit, der auf dem Weg nach oben wie über einen roten Teppich schwebt. «Tauli ist Tauli», sagt Werner Mogg, «ein Haudegen.» Und er sagt: «Die 15-, 16-Jährigen sind Chaoten. Und dann gibt es spezielle Chaoten, und einer von ihnen ist Tauli.»

Mogg ist eines der Gesichter der Basler Nachwuchsförderung. Bei den Junioren von Aesch trainierte er Alex Frei und Marco Streller, bei Concordia Basel war es Timm Klose, der zwar nicht gleich die Karriere von Frei und Streller gemacht, es aber immerhin auch bis zum Nationalspieler gebracht hat. Im 14. Jahr ist Mogg nun im Nachwuchs des FCB beschäftigt. Er betreute den 88er-Jahrgang mit Ivan Rakitic und Yann Sommer. Oder den 91er mit Xherdan Shaqiri und Taulant, den alle nur Tauli nennen.

Wenn Mogg von Taulant redet, zeigt er mit seiner Herzlichkeit, dass er seine Spieler gern hat. Und Spieler wie ihn hat er besonders gern – diesen Spieler, der verbissen für seine Chance arbeitet, der vom Kampf lebt, der nie resigniert. Mogg sagt: «Taulis Spielart ist gefragt. Ich finde ihn super.»

Peter Knäbel ist zu der Zeit, als die Xhakas von Concordia kommen, Nachwuchschef beim FCB. Er hat die Idee, dass die Trainer von U-15 und U-16 mehr machen und auch die Jüngeren betreuen könnten. Darum befasst sich Mogg fortan mit den 13-Jährigen, und er hört über die Xhakas, dass die «super» seien. Concordia ärgert sich über den Abgang der Talente, Basel freut sich, und Mogg fällt Granit zuerst auf. «Er lacht immer, er kann auch lachen, wenn er einen ausdribbelt.» Er sieht, dass Granit etwas an sich hat, das andere nicht haben, das schon. Aber er kann sich nicht vorstellen, dass Granit mit knapp 18 schon in der ersten Mannschaft spielen wird: «Auf eine solche Idee komme ich nicht so schnell.» In dieser Beziehung unterscheidet er sich von anderen Trainern, die sich gerne mit dem Hinweis schmücken, sie hätten diesen oder jenen Spieler entdeckt. Sein Denken ist selbstloser: «Ein Talent muss man nicht entdecken. Das entdeckt sich selber. Und die, die wirklich gut werden, wissen immer, woher sie kommen.»

Der Hausschlüssel für Granit

Granit und Taulant vergessen das nicht. Die Mutter schaut, dass sie ihre Schulaufgaben machen. Granit passt auf den älteren Bruder auf und kriegt von der Mutter den Hausschlüssel um den Hals gehängt, wenn sie weggehen. Sie weiss, auf ihn ist Verlass. Er hilft ihr beim Putzen, macht sein Zimmer selbst und manchmal auch noch das von Taulant, weil der «eher der Faule ist». Das färbt offensichtlich ab. Taulant legt heute Wert auf Ordnung, auf Sauberkeit, «das muss sein».

Wenn er sich im Kreis der Nationalspieler aufhält, braucht er keinen Luxus, die Unterkunft muss nicht mit fünf Sternen geschmückt sein. Aber in einem schmuddeligen Bett zu schlafen, würde ihn ekeln. Im Zimmer daheim sieht man keine Kleider herumliegen, «es soll nicht so aussehen, als habe eine Bombe eingeschlagen, Granit nimmt es da nicht so genau». In dieser Beziehung geht die Wahrnehmung der beiden leicht auseinander.

Nachwuchstrainer Werner Mogg fällt Granit zuerst auf. «Er lacht immer, er kann auch lachen, wenn er einen ausdribbelt.»

Taulant mit Mutter Eli und Vater Ragip. Fotos: Instagram (@tx.34)

Taulant mit Mutter Eli und Vater Ragip. Fotos: Instagram (@tx.34)

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