Der drittgrösste Kanton der Schweiz

Wo leben die meisten Auslandschweizer? Wie beliebt ist Australien? Und in welchen Ländern lebt nur ein Schweizer? Zahlen und Fakten zur fünften Schweiz.

Skilager der Auslandschweizer-Organisation in der Schweiz (1944). Foto: ASO-Archiv

Skilager der Auslandschweizer-Organisation in der Schweiz (1944). Foto: ASO-Archiv

Der Job, das Fernweh, die Liebe, die Abenteuerlust – es gibt viele Gründe zum Auswandern. Und das tun immer mehr Schweizerinnen und Schweizer. Ende 2015 lebten 761‘930 Schweizerinnen und Schweizer im Ausland. 2014 hatten 746'885 Menschen zur Schweizer Diaspora gehört. Diese Gemeinschaft, die man auch «die fünfte Schweiz» nennt, bildet sozusagen den drittgrössten Kanton der Schweiz. Nur Zürich und Bern haben mehr Einwohner schweizerischer Nationalität.

Die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer leben in über 200 Ländern. Über 60 Prozent sind in der Europäischen Union beheimatet, davon rund drei Viertel in unseren direkten Nachbarländern. Ende 2015 lebte die mit Abstand grösste Schweizer Gemeinschaft in Frankreich (198'647), gefolgt von Deutschland (86'774). Auf den weiteren Rängen sind die USA (80'218), Italien (51'556), Kanada (39'869) und Grossbritannien (33'745). Dies zeigt die Auslandschweizerstatistik des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA). In Nordkorea lebten nur gerade fünf Personen mit Schweizer Pass. Mit nur je einem Schweizer Staatsangehörigen rangieren Palau, Kiribati, Turkmenistan und São Tomé und Principe am Schluss.

Jede achte Person mit Schweizer Pass lebt im Ausland. Allerdings: Knapp Dreiviertel der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer besitzt neben der schweizerischen Staatsangehörigkeit eine oder mehrere weitere Nationalitäten. Das Wachstum der Auslandschweizergemeinschaft ist denn auch vorwiegend auf die Neuanmeldung von Doppelbürgerinnen und Doppelbürgern zurückzuführen. In den letzten Jahren ist die Zahl der Auslandschweizergemeinschaft jeweils um rund 15'000 Personen gestiegen.

Ausserhalb Europas lebt mehr als die Hälfte der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer in den USA, Kanada oder Australien. Schweizer Gemeinschaften mit über 15'000 Personen gibt es auch in Argentinien und Brasilien. Knapp weniger als 10'000 Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer sind es in Südafrika.

Die im vergangenen Jahr ausgewanderten Schweizerinnen und Schweizer zog es vor allem nach Frankreich und Deutschland, gefolgt von den USA, Grossbritannien, Israel, Österreich und Thailand. Auch die Zahl der Schweizer Rentnerinnen und Rentner im Ausland wächst von Jahr zu Jahr. Ihre bevorzugten Destinationen sind Spanien, Italien, Frankreich, Thailand und Florida.

Von Vincenzo Capodici






Die Schweiz ist ein Auswanderungsland, das sich aber bis Ende des 19. Jahrhunderts wenig um die Beziehungen der Ausgewanderten zu ihrer alten Heimat kümmerte. Damals lebten etwa 330'000 Schweizerinnen und Schweizer im Ausland. Seit 100 Jahren werden die Interessen der Diaspora in der Schweiz von der Auslandschweizer-Organisation (ASO) vertreten. Die ASO, die in diesem Jahr ihr grosses Jubiläum feiert, wird von rund 750 Schweizer Vereinen und Institutionen in aller Welt getragen. Die ASO ist von den Behörden als Sprachrohr der fünften Schweiz anerkannt. Sie informiert die Landsleute im Ausland über das Geschehen in der Schweiz und bietet ihnen Dienstleistungen an, etwa in Sozialversicherungs- und Ausbildungsfragen.

Die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer können sich an der Schweizer Politik beteiligen: Sie haben das Stimm- und Wahlrecht auf nationaler Ebene. Rund 142'000 Personen der Schweizer Diaspora sind in Wahl- und Stimmregistern der Schweiz eingetragen. Das Stimmverhalten der Auslandschweiz unterscheidet sich von demjenigen der Inlandschweiz: In der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik vertritt sie liberalere Positionen, ausserdem befürwortet sie eine offenere Aussenpolitik.

Die fünfte Schweiz hat einen Vertreter im eidgenössischen Parlament. Letzten Herbst ist der frühere Spitzendiplomat Tim Guldimann, Berlin, in den Nationalrat gewählt worden. Guldimann pendelt zwischen Berlin und Bern. Guldimann, der auf der Liste der SP Kanton Zürich kandidierte, ist der erste Auslandschweizer, der je als solcher ins eidgenössische Parlament gewählt wurde. In der Legislaturperiode 1999–2003 sassen Ruedi Baumann (Grüne, BE) und seine Frau Stephanie Baumann (SP, BE) im Nationalrat. Sie waren allerdings nicht als Auslandschweizer gewählt worden, sondern während der Amtszeit nach Frankreich ausgewandert. 2003 hatte erstmals eine Partei, die SVP Basel-Landschaft, eine separate Auslandschweizer-Liste aufgestellt.

«Die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer erhalten nicht die Aufmerksamkeit und den Respekt, die sie verdienen», sagte der Wahl-Berliner Tim Guldimann nach seiner Wahl in den Nationalrat. «Sie tragen einen grossen Teil zum Erfolg der Schweiz bei, die eines der international bestintegrierten Länder ist», erklärte Guldimann dem Newsportal Swissinfo. «Dennoch gibt es keine politische Debatte, was getan werden sollte, um sie zu unterstützen.»

Guldimann möchte die Situation der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer in verschiedenen Bereichen verbessern, so zum Beispiel bei der Krankenversicherung. Oder auch bei der AHV sowie bei Konten auf Schweizer Banken. Die Schweizer Auslandgemeinde hat wegen des zunehmenden internationalen Drucks auf das Bankgeheimnis immer grössere Mühe. Sehr wichtig für die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer ist nach Ansicht von Guldimann die europäische Frage. «Wir müssen unsere Zukunft innerhalb des europäischen Binnenmarktes sicherstellen.»


Tim Guldimann vertritt die Auslandschweizer im Nationalrat. Foto: Keystone

Impressum

Idee und Konzept: Sandro Benini, Vincenzo Capodici
Texte: Sandro Benini, Vincenzo Capodici, Rudolf Wyder, Felix Maise
Fotos und Video: Raisa Durandi, Sabina Bobst, Keystone, Auslandschweizer-Organisation
Interaktive Grafik: Marc Fehr
Produktion: Vincenzo Capodici
Projektleitung: Dinja Plattner

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Feierlichkeiten auf dem Auslandschweizerplatz in Brunnen. Foto: Keystone

Feierlichkeiten auf dem Auslandschweizerplatz in Brunnen. Foto: Keystone

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