«Im Flugzeug gibt es kein Entrinnen»

Marianne Sommer (69) und Claudio Haas (32) bleiben auch gerne auf dem Boden.

Die Ex-Flugbegleiter auf der Zuschauerterrasse am Flughafen Zürich. Fotos: Sabina Bobst

Die Ex-Flugbegleiter auf der Zuschauerterrasse am Flughafen Zürich. Fotos: Sabina Bobst

Sommer: «Fliegen war ein Luxus, eine neue Welt.»

Haas: «Heute kann sich fast jeder Städtetrips leisten.»

Mit Marianne Sommer und Claudio Haas sprachen Samuel Reber und Judith Wittwer
Flughafen Zürich

Herr Haas, haben Sie ein «Normalgewicht»?

Haas: Als ich bei der Swiss als Flight-Attendant einstieg, war das sicher so.

Sonst hätten Sie den Job auch nicht bekommen. Im Anforderungsprofil der Swiss steht klar: Flugbegleiter müssen mindestens 158 cm gross und normalgewichtig sein.

Haas: Die Ästhetik muss stimmen – das ist auch heute noch so. Man sollte quasi mühelos durch den engen Flugzeuggang schweben können.

Sommer: Früher mussten wir beim Anstellungsgespräch sogar auf die Waage stehen. Mit einem Gewicht von 56 Kilo bei einer Grösse von 172 cm war das damals für mich zum Glück keine Hürde.

Haas: Heute achtet man auf das Erscheinungsbild als Ganzes. Die Swiss verlangt keinen bestimmten Body-Mass-Index. Für die Uniform muss man sich aber Mass nehmen lassen.

Gibt es bei der Swiss keine Uniformen in Übergrössen?

Haas: Doch, das gibt es. Für vereinzelte Angestellte, die schon zwanzig, dreissig Jahre dabei sind und gut gelebt haben. Auf den Rotationen isst man gut, als erfahrener Flight-Attendant weiss man, in welche Restaurants man im Ausland gehen muss. Das habe auch ich gespürt.

Sommerserie: Generationen im Gespräch

In unserer Sommerserie treffen Generationen aufeinander und reden über Veränderungen, die die Schweiz bewegen. Den Anfang machen Juso-Präsidentin Tamara Funiciello und Alt-Bundesrat Pascal Couchepin, die über eine bessere Welt philosophieren. In Teil zwei diskutieren Rolf Lyssy und Petra Volpe über den Schweizer Film, damals und heute. Zwei ehemalige Flight-Attendants der Swissair respektive Swiss landen im dritten Teil beim Thema Wandel über den Wolken.

Traumberuf, Terrorangst, ausfällige Passagiere, Sex auf der Toilette, Swissair: Marianne Sommer und Claudio Haas beantworten fünf Fragen zu ihrem Beruf. Video: Sabina Bobst

Hostessen-Uniformen waren in den 60er-Jahren weit mehr als eine Arbeitsbekleidung. Um es mit den Worten von Modeschöpfer Emilio Pucci zu sagen: «Ein abgespannter Geschäftsmann soll sich an Bord unserer Flugzeuge am Anblick hübscher Mädchen erfrischen dürfen.» Die Flight-Attendant als Zeitvertreib auf einem langweiligen Flug?

Sommer: Ach, das sind Klischees. Klar, wurde man beobachtet. Unsere Röcke waren ziemlich kurz, und wenn wir das Gepäck im Hutfach verstauten, rutschten sie zu unserem Ärger hoch. Die Geschäftsleute haben sich aber meist mehr für die Börsenkurse in der Zeitung interessiert.

Keine Liebeserklärungen über den Wolken?

Sommer: (lacht). Nein. Vielleicht mal ein Flirt, ein Kaffee mit Mäni Weber im Transit in Genf oder man steckte uns eine Visitenkarte zu. Teils erhielten wir von den Passagieren auch ein Trinkgeld oder Geschäftsleute schenkten uns ein Hermès-Foulard aus dem Bordverkauf. Mehr war aber nicht.

Also gab es dieses leichte Leben, wie es Leonardo DiCaprio mit sexy Stewardessen in der Gaunerkomödie «Catch Me if You Can» zelebriert, überhaupt nicht?

Sommer: «Coffee, Tea or Me» – so heisst auch ein Buch der fiktiven Stewardessen Trudy Baker und Rachel Jones. So simpel war es aber dann doch nicht. Die Hostessen waren nie Puppen, sexistische Bemerkungen oder Witze bekam ich praktisch nie zu hören. Im Gegenteil: Als Flight-Attendant war man stolz, man wurde bewundert und beneidet.

War es Ihr Traumberuf?

Sommer: Oh ja! Ich erinnere mich, wie ich als Kind an einem sonnigen Nachmittag auf einem Feld lag, im Himmel ein Flugzeug erblickte und mir schwor: Dort oben will ich mal arbeiten. Fliegen war meine Chance, dem kleinbürgerlichen Dorfleben zu entfliehen.

Haas: Die Fliegerei faszinierte mich auch seit klein auf. Unser Vater, ein Tierarzt und Aviatik-Fan, nahm uns schon früh an Fluganlässe mit. Im Kindergarten wollte ich Pilot werden, bald merkte ich aber, dass mir die Arbeit in der Kabine und der Austausch mit der Crew und den Passagieren besser entspricht.

Wie haben Sie auf dieses Berufsziel hingearbeitet?

Sommer: Flugbegleiter mussten damals bei der Swissair drei Sprachen sprechen können. So arbeitete ich nach der kaufmännischen Lehre zuerst als Kindermädchen in England und dann in der Welschschweiz in einem Büro. Und später, als ich den Job als Flight-Attendant bereits hatte, lernte ich in Abendkursen der Swissair noch Italienisch und Spanisch.

Haas: Heute verlangt die Swiss neben Deutsch nur noch Englisch. Spricht man zusätzlich Französisch, erhält man 100 Franken mehr Lohn pro Monat.

Und dann, mit dem Sprachschatz im Gepäck, hoben Sie ab. Was war das für ein Gefühl?

Sommer: Ein riesiges Glücksgefühl. Mein erster Einsatz führte nach Tunis, Meer und Olivenhaine bei der Landung. Eine neue Welt. Fliegen war damals ein Luxus. Niemand flog nach New York zum Weihnachtsshopping. Man konnte es sich schlicht nicht leisten.

«Als Flight-Attendant wurde man beneidet.»

Arbeiten in der Luftfahrt, damals und heute

1912

Der weltweit erste Steward verrichtet seinen Dienst in Deutschland an Bord des Zeppelins Schwaben.

1914

Die erste Fluggesellschaft der Welt ist die St. Petersburg-Tampa Airboat Line in Florida. Sie fliegt die Strecke zweimal am Tag. Ein Ticket kostet 5 Dollar.

1924

Am 20. Mai überquert der Amerikaner Charles Lindbergh in seinem Flugzeug Spirit of St. Louis im Alleinflug den Atlantik. Flugdauer: 33 Stunden.

1931

Am 26. März wird die Swissair gegründet, fünf Jahre nach der Lufthansa. (6. Januar 1926)

1947

Am 20. Dezember kommt Marianne Sommer in Lindau ZH auf die Welt.

1969

Sommer arbeitet im ersten Dienstjahr als Flight-Attendant bei der Swissair und verdient 1170 Franken pro Monat. Ihr erster Flug geht nach Tunis.

1970

Am 21. Februar explodiert an Bord des Swissair-Flugs 330 nach Tel Aviv eine Bombe. Das Flugzeug stürzt bei Würenlingen AG ab. Alle 47 Insassen sterben. Die Volksfront zur Befreiung Palästinas bekennt sich zum Anschlag.

1977

Marianne Sommer wird Mutter und hört bei der Swissair auf. Ab 1982 arbeitet sie für 13 Jahre bei der Chartergesellschaft Balair.

1984

Am 25. März kommt Claudio Haas in Winterthur zur Welt.

1995

Marianne Sommer kehrt zur Swissair zurück. Nach dem Grounding wird sie von der Swiss angestellt.

1998

Am 3. September kommt es zum schlimmsten Unglück in der Geschichte der Swissair: Eine MD-11 stürzt in Kanada bei Halifax ins Meer. 215 Passagiere und 15 Crew-Mitglieder sterben. Die Unfallursache wird nie restlos geklärt.

2001

Am 11. September entführen Terroristen in den USA vier Passagierflugzeuge, steuern zwei davon in die beiden Türme des World Trade Centers in New York und eines ins Pentagon in Virginia. Etwa 3000 Menschen verlieren ihr Leben.

2001

Am 2. Oktober groundet die Swissair. Um 15.45 Uhr muss CEO Mario Corti den Flugbetrieb einstellen. Die Fluggesellschaft hat kein Geld mehr, um Tankfüllungen zu bezahlen. Tausende von Passagieren stranden in Zürich.

2002

Im Frühjahr hebt die neue Schweizer Airline ab: Die Crossair wird zur Swiss International Air Lines umgebaut und übernimmt einen Grossteil des Streckennetzes der Swissair.

2004

2004: Marianne Sommer wird bei der Swiss pensioniert. Am 22. März 2005 kauft die Lufthansa die Swiss.

2008

Im März beginnt Claudio Haas als Flight-Attendant bei der Swiss zu einem Lohn von 3300 Franken. Sein erster Flug geht nach Paris, sein erster Langstreckenflug im Dezember nach Los Angeles.

2011

Claudio Haas wird Maître de Cabine auf der Kurzstrecke, 2014 auf der Langstrecke. Im Juli 2015 hört Haas bei der Swiss auf.

Wie erlebten Sie den Arbeitsalltag über den Wolken?

Sommer: Das waren angenehme Zeiten. In der DC-9 sassen hinten in der Economyclass 90 Passagiere. Zu dritt servierten wir ihnen in Porzellan-Geschirr das Essen.

Haas: Heute gilt die Faustregel: ein Flight-Attendant für 50 Passagiere.

Sommer: Ist man im A319 in der Economy nicht allein für 138 Passagiere zuständig?

Haas: Man unterstützt sich gegenseitig – in der Business vorne und in der Economy hinten.

Sommer: Auf Kurzstrecken serviert man heute ja nur noch Getränke und Sandwiches.

Kaffee oder Tee, Schinken oder Käse: Wird die Arbeit nicht schnell monoton?

Haas: In der Economyclass sind die Abläufe in der Regel klar: Bordservice, Verkauf, je nach Destination Einreiseformulare. In der Businessclass sind hingegen die Ansprüche höher und damit die Arbeit abwechslungsreicher. Und erst in der First Class: Dort betreut man maximal acht Passagiere – da kann man auf einem Langstreckenflug teilweise auch etwas aufbauen.

Sommer: Monoton ist nicht die Arbeit, frustrierend ist heute, dass einem die Passagiere immer weniger zuhören. Rindfleisch, Kalbfleisch oder Poulet – immer mehr Fluggäste wollen gar nicht mehr wissen, was ihnen serviert wird, welcher Wein im Angebot ist. Da geht eine Kultur des Erklärens und der Gastfreundschaft an Bord verloren.

Haas: Die Passagiere erwarten zwar von dir, dass du zuvorkommend bist, machen sich aber nicht die Mühe, die Kopfhörer aus den Ohren zu nehmen. Das ist schade.

Statt Gastfreundschaft also lieber Musikkanäle, Spielfilme und Videogames an Bord?

Haas: Die Elektronik hat zweifelsohne ihr Gutes. Wenn Eltern ihren Kindern auf langen Flügen ein iPad in die Hand drücken, Geschäftsleute in ihre Laptops schauen und andere Gäste Musik hören, beruhigt das den Flug. Aber wehe, wenn der Bildschirm einmal nicht funktioniert. Dann hat man als Flugbegleiter ein Problem.

Sommer: In den 70er-Jahren verteilten wir auf den Nordatlantik-Flügen nach New York oder Bosten nach dem Essen Zeitschriften. Wir waren darin geschult, mit den Fluggästen eine gepflegte Konversation zu führen. Wie unterhält man sich mit einem Bundesrat? Wie mit der Queen?

Sie hatten die Queen mal an Bord?

Sommer: Nein, aber den Papst und einen Luxemburger Bischof. Bei dem ist mir ein schrecklicher Fauxpas passiert: Als ich vor der Landung Schöggeli verteilte, fragte ich den Bischof in der Routine: «Möchten Sie ein paar für Ihre Kinder mitnehmen?»

Haas: (lacht) Ich hatte mal Paris Hilton an Bord. Und entgegen ihrem Image als Partygirl war sie hochanständig, grüsste anständig, schlief auf dem ganzen Flug, dankte und ging.

Andere Prominente wie das Model Kate Moss oder der Schauspieler Alec Baldwin wurden wegen ihres Benehmens auch schon aus dem Flieger geworfen.

Haas: Pöbelnde Passagiere sind tatsächlich zunehmend ein Problem.

Sommer: Ja, das habe ich früher so nicht erlebt. Am Ende meiner Karriere hingegen schon.

Laut dem Bundesamt für Zivilluftfahrt in Bern haben die Schweizer Fluglinien letztes Jahr 637 solche Zwischenfälle gemeldet, 2011 waren es noch 553. Weil nicht jedes Ereignis gemeldet wird, sind die tatsächlichen Zahlen wohl noch höher.

Sommer: Einmal hat eine Passagierin bereits vor dem Start mit ihrem Ring dem Fluggast vor ihr derart hart auf den Kopf geschlagen, dass dieser stark zu bluten anfing und wir ihn verarzten mussten. Nur weil dieser – was man vor dem Start nicht darf – die Sitzlehne nach hinten gekippt hat. Einen Rapport haben wir aber meines Wissens nicht geschrieben.

Haas: Mein Leben lang erinnern werde ich mich an einen Flug nach Mumbai. Wir hatten einen Passagier an Bord, der – wie wir erst im Nachhinein erfuhren – an Schizophrenie litt und sich während des Fluges in etwas hineinsteigerte. Nach drei Stunden mussten wir ihn fesseln und bis zur Landung auf den Boden drücken. Fünf Kabinenmitglieder waren permanent mit dem Passagier beschäftigt, der Rest versuchte, noch irgendwie den Service zu machen. Landen wollten wir über Afghanistan nicht. Ein anderes Mal, auf meinem ersten Flug als Maître de Cabine auf der Langstrecke, torkelte zudem ein sturzbetrunker Passagier beim Boarding auf mich zu. Als ich ihm mitteilte, dass ich ihn in diesem Zustand nicht mitnehmen möchte, wurde er aggressiv. Leute können unter Alkoholeinfluss eine bedrohliche Kraft entwickeln und im Flugzeug gibt es kein Entrinnen.

Woran liegt die zunehmende Aggressivität?

Sommer: Stress, Flugangst, Alkohol, Schlafentzug, Enge ...

Haas: Fliegen ist heute ein Massengeschäft. Mit dem Flugverkehr wachsen auch die Zahlen der Übergriffe. Heute kann sich fast jeder einen Städtetrip leisten. Die guten Manieren bleiben auf der Strecke.

«Die guten Manieren bleiben auf der Strecke.»

Schauen wir nochmals zurück auf schöne Erlebnisse. Wohin sind Sie am liebsten geflogen?

Sommer: Bei mir waren das Mumbai, Nairobi, Johannesburg.

Haas: Montreal. Die lauen Sommerabende in der Altstadt – einfach herrlich.

Sommer: Das waren richtige Reisen damals. Intern hiess das «Honeymoon-Flug», wenn man drei Wochen lang mit einem männlichen Flight-Attendant unterwegs war. Man hüpfte von einer Destination zur nächsten. Von Zürich nach Athen, ein Tag frei, nach Bombay, zwei Tage frei, nach Hongkong, wieder zwei Tage frei. Und zurück. In Nairobi hatte man bis zu fünf Tage frei. Man hatte einfach mehr Zeit.

Diese verbrachte man zusammen mit der Crew?

Sommer: Ja, die Kameradschaft war super. Da ging niemand aufs Zimmer, weil er SMSlen musste. In Mumbai nahmen wir den Zug und fuhren nach Agra und besuchten den Taj Mahal.

Wie sieht heute so eine Rotation aus?

Haas: Ganz anders. Die Maschinen können viel weiter fliegen, du machst keine Hüpfer mehr. Bei den Ultralangstrecken nach Los Angeles oder Tokio hat man noch einen Tage frei und kann da etwas unternehmen. Meistens geht es heute aber nach maximal 24 Stunden zurück.

Nimmt das dem Beruf nicht seinen Reiz?

Haas: Für mich war das immer normal so. Ich kenne die Zeiten, wie sie Frau Sommer erlebt hat, nicht.

Wie viele Flüge macht man heute pro Tag?

Haas: Das sind die sogenannten Vierleger. Zum Beispiel Zürich-Stockholm-Zürich-Frankfurt-Zürich. Da arbeitet man dann auch elf Stunden. Fünf bis sechs Tage am Stück.

Belastet dieses unregelmässige Arbeiten die Gesundheit?

Haas: Wenn du Langstrecken fliegst, kannst du dich mit der Zeit nicht mehr richtig akklimatisieren. Das war auch mit ein Grund, warum ich im letzten Sommer aufgehört habe. Du bist überall und nirgends richtig.

Sommer: Die Zeitverschiebung war absolut das Schlimmste. Die Seele kam irgendwie nie mit.

Haas: Genau, das ist ein guter Ausdruck.

Sommer: Ich habe vor allem unter den Nachtflügen gelitten. In Tokio konnte ich nie schlafen. Ab 50 musste ich reduzieren. Ich hätte nicht mehr voll arbeiten können.

Haas: Heute reduzieren viele in deutlich jüngerem Alter.

«Die Zeitverschiebung hängt die Seele ab.»

Ein erfahrener Maître de Cabine sagte mal: Geniesse es, solange du jung bis, aber verschwinde rechtzeitig wieder. Stimmt das?

Haas: Das trifft zu 100 Prozent auf mich zu. Ich wollte den Absprung schaffen, wenn ich noch sagen kann: Hey, ich hatte eine megalässige Zeit. Und alles genossen. Es wäre schade, zu gehen, wenn man es nur noch negativ sieht.

Gab es auch familiäre Gründe, die Ihren Entscheid beeinflusst haben?

Haas: Sicher, Familie und Freunde waren stets von dir abhängig. Ich konnte auf eine Hochzeitseinladung eines Freundes nie zu 100 Prozent zusagen. Das Soziale war zweitrangig und das hat mich enorm gestört. Der Beruf ist schön, aber nichts für mich, wenn ich mal Familienvater bin. Das wäre mir zu schade.

Wie war das bei Ihnen, Frau Sommer, als die Kinder kamen?

Sommer: Ich hörte mit der Arbeit auf, weil es keine Krippe oder etwas Ähnliches gab.

Haas: Heute ist das sicher besser. Eine schwangere Frau kann temporär einen Bodenjob übernehmen und selber sagen, in welchem Stadium sie aufhören will zu fliegen.

Sommer: Einfach ist es trotzdem nicht. Mir haben am Ende meiner Karriere jüngere Kolleginnen gesagt, sie müssten ihren Verdienst in die Krippe investieren und hätten nicht viel übrig.

Verdient man als Flight-Attendant genug für ein gutes Leben?

Sommer: Als alleinstehende Person nicht unbedingt. Man muss sehr sparsam sein. Man kann sich doch heute mit 3340 Franken Anfangslohn allein keine Wohnung leisten. Das ging auch früher nicht.

Haas: Genau, wenn man alleine wohnen will, dann wird es schwierig.

Sommer: Reich wird man sicher nicht. (lacht)

Karrierechancen?

Haas: Hat man gute. Ich habe es in acht Jahren zum Kabinenchef auf den Langstrecken gebracht. Es ging sehr zackig. Ich hätte auch eine Kombination Boden-Luft wählen können oder ganz auf den Boden wechseln.

Was hätte dagegen gesprochen?

Haas: Absolut nichts. Ich wollte einfach noch etwas anderes machen.

Zahlen Billigairlines besser?

Haas: Nur den Piloten. Ich glaube, das Kabinenpersonal verdient weniger.

Nochmals zu den Billigairlines: Bei gewissen Gesellschaften gibt es keinen festen Sitzplatz mehr ...

Sommer: Für mich ist das eine negative Entwicklung. Dies führt doch zu einem gewaltigen Ellenböglen. Schrecklich.

Haas: Easyjet hat das Freeseating wieder abgeschafft, da es wohl zu viele Konflikte gab. Der Trend geht ja dahin, dass man etwas mehr zahlt, um seinen bevorzugten Sitz zu kaufen. Das finde ich gut.

Wie ist eigentlich das Verhältnis zwischen Piloten und Flight-Attendants?

Sommer: Sehr gut, sehr kollegial.

Haas: Aber als du angefangen hast, musste man sich noch siezen, oder?

Sommer: Genau. Geduzt hat man sich erst ab den 90er-Jahren.

Oder wenn es zu einer Affäre kam. Gab es das oft?

Sommer: (schmunzelt) Nicht mehr als in anderen Berufen.

«Geduzt hat man sich erst ab den 90er-Jahren.»

Haas: «Pöbelnde Passagiere sind zunehmend ein Problem.»

Die Ex-Flugbegleiter auf der Zuschauerterrasse am Flughafen Zürich. Fotos: Abina Bobst

Die Ex-Flugbegleiter auf der Zuschauerterrasse am Flughafen Zürich. Fotos: Abina Bobst

Sommer: «Das habe ich früher so nicht erlebt.»

Haas: «Die guten Manieren bleiben auf der Strecke.»

Frau Sommer, Sie haben den Niedergang der Swissair erlebt und gingen demonstrierend auf die Strasse. Was war das für eine Zeit?

Sommer: Ein Drama und ein Trauma, das sogar heute noch bei vielen ehemaligen Mitarbeitenden anhält. All diese Wertschöpfung, die Swissair als Symbol für die guten Werte des Landes, das Familiäre wurden kaputt gemacht von diesen gierigen Managern. Viele von uns gingen auf die Strasse, weil wir nicht glauben konnten, dass dies alles zerstört wird. Wir wollten uns wehren. Gegen den damaligen Bankenchef Marcel Ospel, gegen die UBS, die den Kredit nicht rechtzeitig gegeben hatte. Das war eine Riesenkatastrophe für alle.

Viele hörten mit der Fliegerei auf. Sie nicht.

Sommer: Ich bekam die Chance, zum gleichen Lohn bei der Swiss weiterzuarbeiten. Aber viele haben Geld verloren. Bei den Übergangsrenten zum Beispiel. Oder ich erinnere mich, wie die Swissair-Angestellten vor dem Bankschalter im Operation-Center in langen Schlangen standen und ihr Geld wollten. Doch dies war teilweise blockiert.

Sind Sie heute versöhnt mit der Swiss?

Sommer: Ich bin versöhnt, weil das Unternehmen mir die Möglichkeit gab, weiterzuarbeiten. Ich bin versöhnt, weil sie es heute im Vergleich mit anderen Airlines immer noch ein Quäntchen besser macht.

Was vermissen Sie am meisten, wenn Sie heute fliegen?

Sommer: Mir fehlt die persönliche Betreuung durch die einzelnen Flight-Attendants. Aber mir ist schon klar, dass sie einfach keine Zeit mehr haben, um mit den Passagieren zu reden.

«Das Grounding war ein Drama und ein Trauma.»

Haas: Man könnte einiges besser machen. Aber es ist doch so: Viele Kunden wollen heute fast nichts mehr für den Flug bezahlen, erwarten aber doch den vollen Service. Wir Jungen von der Swiss, die die Swissair nicht mehr kannten, haben immer versucht, das Bestmögliche zu geben. Gegenüber Passagieren, die noch die goldenen Zeiten erlebt haben, reichte das aber nie. Das habe ich immer als schwierig empfunden.

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