«Frauen sind nicht geeignet, Geschichte zu unterrichten»

Viele 68er-Männer wollten die Welt verändern – Frauen sollten sich aber nach wie vor um den Haushalt kümmern. Winterthurerinnen, die damals andere Wege beschreiten wollten, hatten es schwer – selbst in der SP.

Musiker Dieter Meier und Frauenrechtlerinnen im Juli 1969 in Zürich bei einer Versteigerung von Frauenkleidern. Der Erlös sollte einen Antibabypillenautomaten ermöglichen.

Musiker Dieter Meier und Frauenrechtlerinnen im Juli 1969 in Zürich bei einer Versteigerung von Frauenkleidern. Der Erlös sollte einen Antibabypillenautomaten ermöglichen.

Vor 100 Jahren gehörten die SP-Frauen aus Töss mit zu den Wegbereiterinnen der Gleichstellung in der Schweiz. Bereits 1917, also 54 Jahre vor dem entscheidenden, nationalen Urnengang, verlangten Tössemer Arbeiterfrauen ein Frauenstimm- und Wahlrecht.

Auch wenn dieser Forderung damals noch kein Erfolg beschieden war, so liess sich die umtriebige Frauengruppe nicht entmutigen – und setzte kurze Zeit später auf lokaler Ebene Zeichen. So stimmte beispielsweise die Gemeindeversammlung in Töss – damals war Töss noch eine selbständige Gemeinde – ihrem Vorstoss für eine unentgeltliche Geburtshilfe zu.

Ungeachtet dessen zeigten aber selbst hiesige SP-Männer oft nur wenig Bereitschaft, die klassische Rollenteilung in Frage zu stellen. Während sich die Genossen in Politik und Gesellschaft zu Höherem berufen sahen, sollte ihnen die Frauen weiterhin den Rücken frei halten – und für Kinder und Haushalt besorgt sein.

Gleichberechtigung blieb auch für viele Sozialdemokraten noch lange Zeit ein Fremdwort. Selbst 1968 als so manches im Umbruch war und man sich von gesellschaftlichen Zwängen zu befreien begann, machte dies auf konservative SP-Männer offensichtlich wenig Eindruck.

«Ich musste für alles und jedes zuerst meinen Mann fragen.»
Maria Pellicioli, ehem. Präsidentin der SP-Frauen in Töss

«Obschon mein Mann noch vor mir SP-Mitglied war, herrschte bei uns eine klare Rollenteilung», erzählt Maria Pellicioli, die frühere Präsidentin der SP-Frauen in Töss gegenüber dem «Landboten». Selbstbestimmung war tabu. «Ich musste für alles und jedes zuerst meinen Mann Fragen.»

1968 war Pellicioli 33 Jahre alt, Hausfrau und Mutter. Sie wünschte sich zwar einen Beruf zu erlernen. «Aber das wurde mir verwehrt.» Ihr Mann habe wenig Verständnis gezeigt für ihre beruflichen Ambitionen, sagt Pellicioli. Sie sei zwar später putzen gegangen und habe auch in einem Büro gearbeitet. Doch das habe ihr wenig Befriedigung gegeben.

Mehr Erfüllung fand Pellicioli anfangs bei den SP-Frauen in Töss. «Fragen zur Gleichstellung der Geschlechter, zur Rollenteilung, zu Emanzipation und zum Frauenstimmrecht, waren auch meine Themen und Anliegen.» Sie sei zudem begeistert gewesen von der Revolte der Jungen und von der Aufbruchsstimmung der 68er. «Mit der Zeit hatte ich immer mehr das Maul offen und sagte meine Meinung klar und deutlich.» Doch dadurch eckte Pellicioli vermehrt an. Auch bei den Frauen. «Ich war den SP-Frauen in Töss in meiner Zeit als Präsidentin oft zu politisch», sagt Pellicioli rückblickend. «Sie wollten viel lieber stricken und es gemütlicher nehmen.»

«Ich war den SP-Frauen in Töss in meiner Zeit als Präsidentin oft zu politisch.» Maria Pellicioli

«Ich hatte doch nie damit gerechnet, dass ich gewählt würde»

Sibyll Kindlimann

Sibyll Kindlimann

Trotzdem strebten nicht wenige 68er-Frauen eine umfassende Gleichstellung der Geschlechter an. Auch Genossinnen in Winterthur merkten rasch einmal, dass das kein Selbstläufer ist. Aber nicht nur innerhalb der SP gab es Widerstände.

Auch den bürgerlichen Frauen in Winterthur wurde in Sachen «Gleichberechtigung» zur damaligen Zeit nicht überall der rote Teppich ausgerollt. Und dies, obschon es in der Schweiz insbesondere auch Frauen aus der Oberschicht waren, die schon sehr früh (ab den 1880er Jahren) neben der politischen Gleichberechtigung auch die rechtliche Gleichstellung der Frau forderten. Es waren also längst nicht nur Gewerkschafterinnen und SP-Frauen, die sich in der Vergangenheit für das Frauenstimmrecht und für ein neues Rollenverständnis stark machten.

Sibyll Kindlimann war eine der beiden Frauen. Sie wurde damals von der FDP angefragt, ob sie bereit wäre zu kandidieren. Kindlimann sagte zu. «Aber ich hatte doch nie damit gerechnet, dass ich gewählt würde», erzählt die heute 84-Jährige.

Denn die gebürtige Glarnerin, die seit 1963 Hauptlehrerin für Geschichte und Französisch an der Kantonsschule Rychenberg war, war sich bis dahin eher lange Wege und viele Hürden gewohnt. Widerstände spürte sie schon als sie studierte und im Fach Geschichte doktorierte. Ihr damaliger Professor warnte sie, dass eine Frau als Historikerin keine Stelle finden und sie deshalb schlicht verhungern würde. Seine Vorbehalte waren nicht völlig unbegründet.

Als sich Kindlimann 1962 zum ersten Mal zur Wahl als Hauptlehrerin am Gymnasium Rychenberg bewarb, erhielt sie noch eine klare Absage. «Frauen seien nicht geeignet, Geschichte zu unterrichten», hiess es lapidar. Das Wahlgremium schob gar noch nach: «Eine Frau kann die napoleonischen Kriege nicht sachlich erklären.»

Vor diesem Hintergrund ist es zumindest nicht völlig überraschend, dass es nach Annahme des Frauenstimmrechts (1971) in Winterthur zuerst zwei bürgerliche Frauen waren, die den Sprung in den Grossen Gemeinderat schafften (1974). Und dies, obschon die SP bereits damals in Winterthur die klar stärkste Fraktion bildete.

«Ich hatte in der Pfadi den Mut erhalten, all das zu machen, was Männer auch tun.» Sibyll Kindlimann

«Das waren natürlich schon gehörige Ohrfeigen»,sagt Kindlimann. Aber sie liess sich nicht beirren. «Jetzt erst recht», habe sie sich immer wieder geschworen. Ihre Hartnäckigkeit machte sich bezahlt. Ein Jahr später schaffte sie die Wahl aufgrund eines deutlich verjüngten Wahlgremiums dann doch noch. Und 1986 wurde sie schliesslich zur ersten Rektorin an einer Zürcher Kantonsschule gewählt.

Schon viele Jahre vor 1968 habe sie durch ihre Tätigkeit in der Pfadi den Mut erhalten, «all das zu machen, was Männer auch tun». Denn sie habe sich schon als junge Frau geärgert, dass nur ihre drei älteren Brüder abstimmen und wählen konnten, erzählt Kindlimann. Das habe sie ändern wollen. «Ich probierte zudem immer wieder eine Türöffnerin für andere Frauen zu sein», sagt Kindlimann. Sie habe die Frauen stets ermuntert zu sagen: «Ja, ich will das, ich mach das.»

Thomas Münzel

«Ich versuchte, immer wieder eine Türöffnerin für andere Frauen zu sein.» Sibyll Kindlimann

Impressum

Texte: Christian Felix, Lisa Aeschlimann, Thomas Münzel, Mirko Plüss
Umsetzung: Lisa Aeschlimann
Stand: 27. August 2018

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Texte: Christian Felix, Lisa Aeschlimann, Thomas Münzel, Mirko Plüss
Umsetzung: Lisa Aeschlimann
Stand: 27. August 2018

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