Förderer Hitzfeld,
Fan Streller

Nationaltrainer Hitzfeld mit Granit während eines Trainings im September 2012. Foto: Keystone

Nationaltrainer Hitzfeld mit Granit während eines Trainings im September 2012. Foto: Keystone

Taulant wird mit GC Zweiter und gewinnt den Cup.

Taulant spielt 39 Partien für die Grasshoppers. Foto: Keystone

Taulant spielt 39 Partien für die Grasshoppers. Foto: Keystone

Nach seinem Wechsel zu Mönchengladbach ist Granit über das vorherrschende Denken verwundert.

Granit spielt in Mönchengladbach im Mittelfeld. Foto: Keystone

Granit spielt in Mönchengladbach im Mittelfeld. Foto: Keystone

Blut. Emotionalität. Zusammenhalt in der Familie. Das ist das Albanische bei den Brüdern Xhaka. Dazu steht Granit, gerade er. Es gehört zu seiner Identität und Geschichte, zu seiner Herkunft und Person. Er leugnet nichts, weil es auch keinen Sinn machen würde. Und genau darum schafft er den Spagat zwischen der Schweiz und Albanien – zwischen dem Land, in das er hineingeboren worden ist, und dem Land, in dem die Wurzeln seiner Familie liegen. Er dankt der Schweiz und ehrt die Verwandten daheim in Pristina. So einfach ist das für ihn.

Er sagt: «Die Schweiz ist unsere Heimat. Hier sind wir aufgewachsen, hier haben wir von der Schule profitiert und im Fussball davon, dass alles von hoher Qualität ist, Bälle, Schuhe, Plätze. Wir haben Bedingungen gehabt, wie es sie in Albanien nicht gibt. Ich weiss, wir können immer etwas falsch machen. Wenn wir uns im Fussball für die Schweiz entscheiden, heisst es im Kosovo: Was, wie? Wenn wir uns gegen die Schweiz entscheiden, heisst es das auch. Ich bin stolz, Schweizer zu sein, ich bin stolz, für die Schweiz zu spielen. So, wie es ist, ist es gut.»

Ein erster Nachsatz von Taulant: «Es gibt immer Leute, die sagen, du bist ein Verräter.» Und ein zweiter, der vor allem: «Wir können der Schweiz nur dankbar sein.»

Taulant: «Es gibt immer Leute, die sagen, du bist ein Verräter.»

«Ich bin stolz, Schweizer zu sein»: Die Xhaka-Brüder und die Heimatfrage.

Die Brüder durchlaufen die Juniorenauswahlen der Schweiz, und da bestimmt zunächst Taulant das Tempo. Er taucht schon in der U-16 auf, Granit erst in der nächsten Altersstufe. Bis zur U-21 spielt Taulant 46-Mal für die Schweiz, Granit 43-Mal. Vater Ragip nimmt zeitig mit dem albanischen Fussballverband Kontakt auf, um sich nach den Perspektiven für seine Buben zu erkundigen. Das Echo ist ernüchternd: kein Interesse.

Der damalige Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld setzt sich mit den Xhakas zusammen, um über Granits Zukunft in der Nationalmannschaft zu sprechen. Und wenn ein Trainer seines Kalibers kommt, wer will da noch Nein sagen? Der Fall ist für Granit klar: Er spielt künftig für die Schweiz. Im Januar 2011 bricht er seine Lehre als Büroassistent ab. Die Mutter ist dagegen, der Vater argumentiert pragmatisch. Taulant erklärt das Denken seiner Eltern: «Unsere Mutter sagt: ‹Mach die Schule fertig. Man weiss nie, was passiert.› Sie ist auch immer heilfroh, wenn wir gesund nach Hause kommen. Unser Vater sagt: ‹Die Schule ist wichtig. Aber wenn du unbedingt Fussball spielen willst, dann mach das.›»

Granits Debüt in der ersten Mannschaft, mit seinem Tor in der Champions-League-Qualifikation in Debrecen, liegt schon neun Monate zurück, als der 8. Mai 2011 kommt. Es ist ein heisser Sonntag auch im Nordwesten der Schweiz. Der FCB hetzt im Titelrennen dem FC Zürich hinterher und trifft auf die abstiegsgefährdete AC Bellinzona. Auf der Bank sitzen: Granit und Taulant Xhaka. In der 71. Minute wechselt Thorsten Fink, der lebenslustige Trainer, Granit ein. In der 81. Minute ist die Premiere perfekt: Auch Taulant darf eingreifen. Er hilft beim Tor zum 2:0 mit. Und erzählt über das Verhältnis zu Granit: «Wir geben uns gegenseitig Energie.» Die «Basler Zeitung» schreibt über Granit: «Der Jungspund blieb ohne grösseren Einfluss aufs Spiel.» Und über Taulant: «Ein herzhafter Kurzauftritt, der ihm Mumm geben dürfte.»

Zweieinhalb Wochen später bejubeln sie auf dem Barfüsserplatz, dem Basler Feierplatz mitten in der Stadt, zusammen den Meistertitel. Es wird ihr letzter gemeinsamer bleiben.

Wembley? Na und?

Hitzfeld fliegt danach mit dem Nationalteam zu einem EM-Qualifikationsspiel nach London. Es ist ein Neubeginn nach dem tumultuösen Rücktritt von Alex Frei, dem Rekordtorjäger der Schweiz, und von Marco Streller, seinem besten Freund. Hitzfeld ist schon lange vorgehalten worden, er setze nicht auf Junge. Für diese Kritik bringt er kein Verständnis auf: «Man kann nur auf Junge zurückgreifen, wenn die Qualität da ist.» Und jetzt, an diesem herrlichen 4. Juni, scheut er sich nicht, auf Junge zu setzen. Auf Junge wie Granit Xhaka.

Granit spielt nicht irgendwo auf der Seite. Sondern als Nummer 10 im Zentrum, direkt hinter Sturmspitze Eren Derdiyok. Er läuft dabei auch nicht in irgendeinem Stadion auf. Sondern im Wembley. Und was macht das mit ihm? Nichts. Oder nur am Anfang etwas. Er zittert leicht, als er von seinem Einsatz erfährt. Aber sonst ist er sich selbst, gesegnet mit der Gabe, alles Störende auszublenden, wenn das Spiel einmal läuft. «Wenn man sich selbst Druck macht, kann man seine Leistung nicht bringen. Ich habe keine Angst, Verantwortung zu übernehmen. Ich fordere den Ball auch, wenn der Gegner bei mir ist. Ich brauche den Ball. Ohne ihn bin ich tot. Bin ich nicht der richtige Granit.» So redet ein 19-jähriger daher, ein 19-Jähriger Kosovare, der zum Gesicht der Schweiz wird.

Ottmar Hitzfeld sagt: «Man kann nur auf Junge zurückgreifen, wenn die Qualität da ist.» Er setzt auf Junge wie Granit.

Als die zwei im gleichen Team spielen: Taulant und Granit im März 2011. Foto: Keystone

Als die zwei im gleichen Team spielen: Taulant und Granit im März 2011. Foto: Keystone

Granit spielt bei seinem Debüt im Nationalteam nicht irgendwo: sondern als Nummer 10.

Granit Xhaka im Wembley-Stadion vor seinem Debüt im Juni 2011. Foto: Keystone

Granit Xhaka im Wembley-Stadion vor seinem Debüt im Juni 2011. Foto: Keystone

«Ich brauche den Ball. Ohne ihn bin ich tot. Bin ich nicht der richtige Granit.»

Granit im Spiel der Schweiz gegen England im Juni 2011. Foto: Keystone

Granit im Spiel der Schweiz gegen England im Juni 2011. Foto: Keystone

Marco Streller ist ein Idol der Basler Fussballszene, der es auf seine alten Spielertage geschafft hat, sogar über Basel hinaus respektiert zu werden. Ein grösseres Kompliment kann ein Fussballer des Schweizer Serienmeisters gar nicht bekommen. Er sagt: «Ich bin ein grosser Fan von beiden Xhakas.»

Streller, letzten Sommer zurückgetreten, heute Geschäftsmann und Experte beim Schweizer Fernsehen, redet von den beiden Brüdern mit einer fast ansteckenden Begeisterung – im Fall von Granit noch etwas mehr als bei Taulant. Offenbar liegt das in der Tatsache begründet, dass Granit einfach etwas mehr Talent mitbekommen hat als Taulant. Streller sagt: «Bei Granit hat man sofort gesehen, beim ersten Ballkontakt, dass er eine grosse Karriere macht, wenn er gesund bleibt. Er ist vielleicht das grösste Talent, das beim FCB gespielt hat.» Das will etwas heissen, weil beim FCB schon viele grossartige Talente gespielt haben: Ivan Rakitic (heute Barcelona), Xherdan Shaqiri (heute zwar nur noch Stoke City) oder Breel Embolo (bald auch irgendwo im Ausland).

Granit profitiert davon, dass Platzhirsche die Mannschaft prägen, Alex Frei, Benjamin Huggel und eben Streller. Sie ermöglichen es, dass Granit sich in aller Ruhe entwickeln kann. Und auch wenn er keiner ist, der viel für Ruhe übrig hat: Er darf seine Fehler machen, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Huggel führt ihn, und er ist gescheit genug, ihm den Raum und die Luft zur Entfaltung zu geben. Granit schätzt das. Er ist keiner, der denkt: «Alter, jetzt ist es gut, dass du gehst.» So formuliert das Peter Knäbel, der einstige Nachwuchschef des FCB.

Trotzdem gibt Granit zu verstehen, welche Ambitionen er hat. Und er hat vor allem eine: ein grosser Fussballer zu werden. Dass er in seinen Zielsetzungen manchmal überbordet, das kommt vor. Wenn er etwa vom Gewinn der Champions League redet. «Granit, super, dass du Ziele hast», sagen ihm dann die Routiniers um Streller, «aber wir müssen dafür den Kopf hinhalten, nicht du. Also bleiben wir realistisch.» Granit nimmt das zur Kenntnis. Und redet danach nur noch vom Halbfinal.

Im Champions-League-Spiel bei Manchester United holt sich Granit hinten den Ball, drückt einfach zwei Spieler weg und schlägt den Diagonalpass. «Schon in so jungen Jahren führt er Regie», sagt Streller noch immer verwundert. Basel erreicht im Old Trafford ein aufsehenerregendes 3:3. Granit legt 13,2 Kilometer zurück, so viel wie keiner sonst. Taulant steht zwei Minuten auf dem Platz.

Marco Streller sagt über Granit: «Er ist vielleicht das grösste Talent, das beim FCB gespielt hat.»

Granit und Marco Streller im März 2012. Foto: Keystone

Granit und Marco Streller im März 2012. Foto: Keystone

Granit profitiert davon, dass Platzhirsche wie Frei, Huggel und Streller das Team prägen. So kann er sich in Ruhe entwickeln.

Die Platzhirsche Huggel und Streller und der junge Granit im Training des FCB. Foto: Keystone

Die Platzhirsche Huggel und Streller und der junge Granit im Training des FCB. Foto: Keystone

Grosse Namen auf der FCB-Bank: Streller, Frei, Markus Steinhöfer, Granit und Xherdan Shaqiri (v.l.). Foto: Keystone

Grosse Namen auf der FCB-Bank: Streller, Frei, Markus Steinhöfer, Granit und Xherdan Shaqiri (v.l.). Foto: Keystone

Im folgenden Winter lässt sich Taulant an GC ausleihen, in die Zürcher Welt, die ihm fremd ist. Für ihn ist das eine wichtige Episode in seiner Entwicklung. Das zeigt sich allerdings erst eineinhalb Jahre später nach seiner Rückkehr zum FCB. Granit dagegen nähert sich dem Entwicklungsschritt, der für ihn vorgezeichnet ist. Im Sommer 2012 vollzieht er, kurz vor seinem 20. Geburtstag, den Wechsel zu Borussia Mönchengladbach. Die Ablöse beträgt 8,5 Millionen Euro. Lucien Favre wird sein Trainer.

Granit sieht keinen Grund, an sich etwas zu ändern, nur weil er fortan in der Bundesliga spielt. Er ist Xhaka, der Spieler, der Titel gewonnen und Champions League gespielt hat. Der Xhaka, der das Denken nicht versteht, das er in Mönchengladbach wahrnimmt. Die Borussia hat die Saison davor zwar auf dem 4. Platz beendet, aber der Neue hört von seinen neuen Kollegen oft: «Wir müssen hoffen, dass wir nicht absteigen.» Er fragt sich: «Was ist das nur für eine Mentalität?» Er ist keiner, der sich überlegt, wie er ein Spiel nicht verlieren kann, er überlegt sich nur, wie er es gewinnen kann.

Journalisten am neuen Ort raten ihm, weniger forsch aufzutreten. «Tut mir leid. So bin ich», entgegnet er ihnen. Die Zuschauer werden unruhig. Intern gibt es Probleme. Sportdirektor Max Eberl sagt: «Granit hat mit einigen Aussagen übers Ziel hinausgeschossen.»

«Nicht einmal meine Eltern gehen so mit mir um»

In der Europa League spielt Mönchengladbach gegen Fenerbahce Istanbul. In der Halbzeitpause kommt es zum Disput zwischen Marc-André ter Stegen und Granit. Der Goalie packt Granit von hinten am Hals. Der lässt sich das nicht gefallen, «nicht einmal meine Eltern gehen so mit mir um. Er ist gleich alt wie ich, und ich lasse mir nicht alles gefallen.» Er denkt: «Bin ich im falschen Film?» Am nächsten Tag gibt es eine Aussprache. Granit macht seinen Standpunkt klar. Und der zeigt: Er ist nicht der kleine Schweizer, der sich alles bieten lässt.

Als Peter Knäbel, damals noch beim Schweizer Verband, davon hört, ist für ihn eines klar: «Granit schafft den Durchbruch.» Granit hilft es, dass er für Gladbacher Verhältnisse viel Geld gekostet hat und der Verein ihn deshalb nicht gleich fallen lässt. Ihm hilft auch, dass er Lucien Favre als Trainer hat, der ein Flair für Spieler wie ihn hat, die im Mittelfeld daheim sind. «Ohne Favre wären Gökhan Inler oder Blerim Dzemaili beim FCZ nie zu den Spielern geworden, die sie heute sind», sagt Knäbel, «er will auch Granit den letzten Schliff geben. Darum lässt er ihn in diesem Konflikt mit ter Stegen nicht fallen.»

Taulant Xhaka beisst sich bei den Grasshoppers fest, die unter Michael Skibbe die Saison als Zweite und Cupsieger beenden. Täglich telefoniert er auch hier mit Granit, seinem Bruder und Freund. Neid kennt er nicht, nur weil der Jüngere jetzt in Deutschland spielt. «Er ist eine super Persönlichkeit, Granit kann bei jedem Topclub spielen.»

Granit denkt: «Bin ich im falschen Film?» Am nächsten Tag gibt es eine Aussprache.

Taulant während seiner Zeit bei GC im April 2013. Foto: Keystone

Taulant während seiner Zeit bei GC im April 2013. Foto: Keystone

Granit mit Gladbachs Torhüter Yann Sommer. Foto: Keystone

Granit mit Gladbachs Torhüter Yann Sommer. Foto: Keystone

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